Vor 24 Jahren wurde zum ersten Mal die vollständige Sequenzierung der DNA des menschlichen Genoms durchgeführt. Dadurch erhielten wir Zugang zu einer Art Landkarte aller genetischen Informationen, die den Menschen ausmachen. Diese bahnbrechende Entdeckung ermöglichte es auch, genetische Krankheiten genauer zu untersuchen.
Seltene genetische Krankheiten betreffen weniger als 1 von 2000 Menschen. Doch mit über 10'000 bekannten Krankheiten sind insgesamt mindestens 5 % der Bevölkerung betroffen. Der Schweregrad und die geringe Bekanntheit dieser Krankheiten stellen die Medizin vor grosse Herausforderungen – auch, weil sie von Versicherungen oft nur unzureichend abgedeckt werden.
Bei der ersten Sequenzierung des menschlichen Genoms blieben Teile unzugänglich. Dank der Oxford Nanopore Technologies (ONT) ist es seit wenigen Jahren möglich, das gesamte Genom in längere Fragmente zu sequenzieren und einen klaren Überblick über das gesamte Genom einer Person zu erhalten. Für Menschen mit seltenen Krankheiten ist diese Methode ein Hoffnungsschimmer, da sie oft eine «diagnostische Odyssee» mit endlosen Tests und Spezialistenbesuchen durchlaufen. Durch den Einsatz dieser neuen Sequenzierungstechnologie könnte die Diagnose beschleunigt und die Behandlung deutlich verbessert werden.
Alexandre Kuhn, Professor und Forscher am Institut für Life Sciences, leitet das Projekt EDA-COM, das vom Forschungsschwerpunkt Gesundheit finanziert wird. Ziel ist es, die Diagnose seltener Krankheiten – besonders bei Kindern – zu verbessern und zu beschleunigen. An diesem interdisziplinären Projekt sind neben Alexandre Kuhn auch Henk Verloo, Forscher am Institut für Gesundheit der HES-SO Valais-Wallis, das Genetik-Labor des Spitals Wallis, Dr. Johnny Deladoëy, Unisanté sowie der Verein MaRaVal Seltene Krankheiten Wallis beteiligt. Mit innovativen Methoden rückt Kuhns Labor die Betroffenen und ihr Umfeld ins Zentrum der Forschung.
In Zusammenarbeit mit dem Institut für Gesundheit wurde ein Fragebogen entwickelt, um die Auswirkungen einer Diagnose auf das Leben der Familien zu bewerten. Dieses Vorgehen, bisher nur in den USA erprobt, macht das EDA-COM-Projekt zum europäischen Vorreiter: Der Fragebogen wurde übersetzt und an die Schweizer Verhältnisse angepasst. Ein Teil des Fragebogens bewertet den Nutzen des Diagnoseverfahrens, während der andere die emotionalen Auswirkungen einer solchen Nachricht untersucht. Die Ergebnisse sind entscheidend für die nächste Projektphase, die eine breitere Patientengruppe einbeziehen wird.
Die Diagnose seltener Krankheiten ist komplex, da das menschliche Genom aus rund 3 Milliarden Nukleobasenpaaren besteht, die Millionen genetische Varianten enthalten. Diese Varianten können DNA-Sequenzen verändern und Krankheiten auslösen.
Um aus Millionen Varianten nur einige wenige potenziell krankheitsverursachende zu isolieren, setzt die Forschung auf Bioinformatik:
Am Ende bleiben etwa zehn mögliche Kandidaten, die von Fachleuten weiter untersucht werden. Das Universitätsklinikum Tübingen ist führend in der Genomik seltener Krankheiten und ein wichtiger Partner für dieses Projekt.
Alexandre Kuhn, Biologe und Bioinformatiker, möchte seine innovative Methode nun an einer grösseren Gruppe von Patientinnen, Patienten und deren Eltern testen, um ihre Gültigkeit zu bestätigen. Seit vier Jahren entwickelt er mit seinem Team im Labor für Molekularbiologie die Sequenzierungstechnologien der dritten Generation, die heute nahezu in Echtzeit arbeiten – was bis vor Kurzem noch undenkbar war.
Mit seinem langjährigen Interesse an den medizinischen Anwendungen der Biologie – unter anderem im Bereich neurodegenerativer Krankheiten – verfolgt Kuhn das Ziel, Diagnosen zu beschleunigen und den Alltag der Betroffenen zu verbessern.
Er betont die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit und dankt dem Forschungsschwerpunkt Gesundheit für die Unterstützung: «Dieser Forschungsschwerpunkt dient als Katalysator für qualitativ hochwertige, interdisziplinäre Forschung und hilft, regionale Lösungen zu entwickeln, die wirklich einen Unterschied machen.»