Nachhaltigkeit ist in der Tourismusbranche längst mehr als ein Schlagwort - sie ist zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor geworden. Doch wie lässt sich nachhaltiges Handeln im Alltag umsetzen? Vor welchen Herausforderungen stehen die Akteure und wie können diese gemeistert werden?
Im Rahmen der Sustainable Tourism Days 2024, organisiert vom Kompetenzzentrum Nachhaltigkeit (KONA) des Schweizer Tourismus-Verbandes, durfte ich am 31. Oktober den Good Practice Talk in Bern moderieren. Die Diskussionsrunde mit Marta Flack (La Gruyère Tourisme), Sebastian Schmid (Hotel Glocke), Laura Wyss (Seilbahnen Schweiz) und Inputs aus vorbereitenden Gesprächen mit Fabienne Merlet (Locarno Film Festival), die nicht direkt an der Diskussion teilnehmen konnte, boten spannende Einblicke. Die Themenschwerpunkte des Panels reichten von Partnerschaften und Kooperationen über Best Practices und Erfolgsfaktoren bis hin zu Herausforderungen in der täglichen Praxis.
Partnerschaften als Schlüsselfaktor für nachhaltigen Erfolg
Ein zentraler Punkt des Panels war die Bedeutung von Zusammenarbeit und Partnerschaften. Nur durch Kooperationen lassen sich langfristige und wirksame Nachhaltigkeitsmassnahmen verwirklichen.
- Marta Flack erklärte, wie La Gruyère Tourisme gemeinsam mit lokalen Partner:innen, darunter der regionale Naturpark Gruyère Pays-d’Enhaut, Massnahmen zur Sensibilisierung von Gästen und Anbietern umsetzt. Ein Beispiel ist der „DayPass La Gruyère“, der es Gästen ermöglicht, sich den ganzen Tag kostenfrei mit öffentlichen Verkehrsmitteln in der Umgebung zu bewegen. Diese Kooperationen tragen nicht nur zur CO₂-Reduktion bei, sondern fördern auch ein Bewusstsein für nachhaltige Mobilität.
- Fabienne Merlet vom Locarno Film Festival setzt auf Partnerschaften mit der SBB und Initiativen wie Too Good To Go, um den ökologischen Fussabdruck des Festivals zu reduzieren. Dank der Kooperation mit der SBB können Festivalbesuchende mit ihrem Ticket kostenfrei den öffentlichen Verkehr im Tessin nutzen. Zusätzlich minimiere die Zusammenarbeit mit Too Good To Go die Lebensmittelverschwendung, was die Emissionen weiter senke.
- Sebastian Schmid stellte heraus, wie eng das Hotel Glocke in Reckingen mit lokalen Handwerkern und Produzenten zusammenarbeitet. Durch den Bezug von Lebensmitteln und Dienstleistungen aus der Region gelingt es ihm, die Umweltbelastung zu reduzieren und gleichzeitig die regionale Wirtschaft zu fördern. Sie kaufen ganze Tiere von lokalen Bauern und verwenden Schweizer Weine, darunter pilzwiderstandsfähige Sorten (PIWI-Weine), die weniger Pestizide benötigen. Sein Motto: „Netzwerke stärken und lokal denken.“
- Laura Wyss verwies auf die grosse Vielfalt bei der Mitgliedschaft von Seilbahnen Schweiz, die sowohl kleine Skilifte als auch grosse Bergbahnen umfasst. Laura erläuterte die Rolle von Seilbahnen Schweiz als Branchenverband, der seine Mitglieder dabei unterstützt, nachhaltiger zu werden. Da der Verband keine direkten Vorgaben machen kann, liegt der Fokus auf dem Anstossen und Unterstützen. Sie beschrieb die Herausforderungen insbesondere für kleinere Skigebiete, die oft nicht über die finanziellen und personellen Ressourcen verfügen, um umfassende Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln. Sie unterstützt die Mitglieder daher mit einem Good-Practice-Katalog und Unterlagen, die den Einstieg in die Nachhaltigkeit erleichtern. Zusätzlich arbeitet Seilbahnen Schweiz an Pilotprojekten im Wassermanagement, um gemeinsam mit Gemeinden, der Landwirtschaft und Naturschutzorganisationen eine nachhaltige Wassernutzung sicherzustellen.
Herausforderungen: Nachhaltigkeit im Alltag umsetzen
Trotz aller Erfolge sehen sich die Akteure mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die es durch Kreativität, Innovation und harte Arbeit zu bewältigen gilt.
- Marta Flack sprach über die Problematik des Overtourism und die Herausforderung, den Besucherfluss zu steuern. Ein Ziel von La Gruyère Tourisme ist es, die Gäste auf weniger stark frequentierte Orte aufmerksam zu machen. Eine Idee ist, ein Ampelsystem auf der Website zu implementieren, das aufzeigt, welche Orte gerade stark besucht sind. Zudem ist die Angst vor Greenwashing unter den Akteuren in der Region ein grosses Thema. Marta setzt auf Offenheit und Aufklärung, um Vorbehalte abzubauen und die Akzeptanz für kleine, nachhaltige Schritte zu fördern.
- Fabienne Merlet wies auf den hohen Anteil der Transportemissionen hin - 98% der CO₂-Emissionen des Locarno Film Festivals entstehen durch die Anreise der Gäste und Besucher. Neben den Partnerschaften zur Förderung der nachhaltigen Mobilität, wie diejenige mit der SBB, aber auch diejenige mit Autopostale, die elektrische Shuttlebusse von einem Ort zum anderen zur Verfügung stellt, oder die Elektrovelos, die von Ego-Movement zur Verfügung gestellt werden, sind alle Elemente, die das Publikum betreffen, von grosser Bedeutung: von der Reduktion von PET (um 50%) und der Förderung der korrekten Abfallentsorgung bis hin zu Workshops für Kinder und thematischen Panels. Die soziale Verantwortung bleibt der Bereich, in dem das Filmfestival Locarno mit seinen Programmen zur Kulturvermittlung, zur beruflichen Weiterbildung und zur Sensibilisierung im weitesten Sinne am stärksten präsent ist.
- Sebastian Schmid erwähnte die hohen Kosten für regionale Produkte und die damit verbundenen finanziellen Herausforderungen. Im Hotel Glocke setzen sie auf kreative Lösungen, wie etwa das Einsparen von Wasser und Reinigungsmitteln durch den Einsatz eines einzigen Bestecks pro Gast für das gesamte Menü. Die Zusammenarbeit mit pensionierten Mitarbeitern für Spitzenzeiten stellt sicher, dass immer ausreichend Personal verfügbar ist, ohne die Umwelt durch lange Arbeitswege zu belasten.
- Laura Wyss thematisierte den Personalmangel in kleinen Seilbahnbetrieben, wo oft niemand speziell für Nachhaltigkeit zuständig ist. Eine Lösung sieht sie in Workshops und Leitfäden, die den Einstieg in das Thema erleichtern.
Erfolgsfaktoren: Was funktioniert in der Praxis?
Der Good-Practice-Talk lieferte eine Vielzahl an Beispielen für erfolgreich umgesetzte Nachhaltigkeitsinitiativen. Oft sind es gerade die kleinen, durchdachten Massnahmen, die messbare Effekte haben.
- Marta Flack berichtete über die Erfolge des „Swisstainable Info-Workshop“, der als Sensibilisierungsveranstaltung gezielt Tourismusakteure anspricht,. Eine Massnahme, die sowohl den lokalen Austausch als auch das nachhaltige Engagement stärkt.
- Fabienne Merlet hob die Einführung des Grünen Fonds für nachhaltige Filmproduktionen hervor. Dieser Fonds soll jährlich bis zu drei Projekte unterstützen, die auf umweltschonende Weise produziert werden. Eine Initiative, um für die Dringlichkeit zu sensibilisieren, einen ökologischen Wandel in der Filmproduktion herbeizuführen.
- Sebastian Schmid setzt im Hotel Glocke auf messbare Food-Waste-Reduktionen durch bedarfsgenaue Bestellungen und flexible Portionierung. Das Hotel arbeitet mit einem Servietten-Taschen-System, bei dem Gäste ihre Stoffservietten über mehrere Tage nutzen können. Ein weiteres Highlight ist die Einführung eines Mobility-Elektroautos und E-Bikes für Gäste und Mitarbeitende, das die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel fördert und den CO₂-Fußabdruck minimiert. Der hohe Mitarbeiterstamm ist ein weiterer Erfolg, der zeigt, dass soziale Nachhaltigkeit genauso wichtig ist wie ökologische Maßnahmen.
- Laura Wyss verwies auf die Snowsat-Technologie, mit der die Schneedecke über GPS genaustens gemessen wird und die damit eine effiziente Pistenpräparation und gezieltere Beschneiung ermöglicht. Dies spart Ressourcen und optimiert den Betrieb. Zudem zeigte die Umfrage von Seilbahnen Schweiz, dass Massnahmen zur Energieeinsparung gut funktionieren, da sie auch wirtschaftliche Vorteile bringen. Insgesamt zeigt sich, dass sowohl kleinere, einfach umsetzbare Massnahmen, als auch grössere und gut durchdachte Projekte gut Wirken. Dabei ist auch die Sensibilisierung von Gästen und Mitarbeitenden hilfreich, was viele Bahnen bereits umsetzen.
Fazit: Nachhaltigkeit ist eine Gemeinschaftsaufgabe
Der Good-Practice-Talk hat gezeigt, dass nachhaltiger Tourismus nur im Verbund funktioniert. Kooperationen, innovative Ideen und ein langer Atem sind entscheidend. Die Praxisbeispiele zeigen, dass es vielfältige Ansätze gibt, nachhaltige Strategien zu integrieren – sei es durch den Einsatz neuer Technologien, die Unterstützung der regionalen Wirtschaft oder die Einbindung von Gästen und Mitarbeitenden.
Für alle Akteure im Schweizer Tourismus gilt: Der Weg zur Nachhaltigkeit ist nicht immer leicht, doch mit der richtigen Strategie, starken Partnerschaften und dem Willen, kleine, konkrete Schritte zu gehen, können bemerkenswerte Ergebnisse erzielt werden. Nachhaltigkeit ist kein Ziel, das einmal erreicht und dann abgehakt werden kann – sie ist ein fortwährender Prozess, der Engagement und Flexibilität erfordert.