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Patrick Kuonen, Professor an der Hochschule für Wirtschaft HES-SO Valais-Wallis
Monday, 05. June 2023 - 07:47

Die Schweiz hat es aktuell mit einem historischen Fachkräftemangel zu tun. In allen Branchen fehlen Arbeitskräfte. Parallel dazu wird Teilzeitarbeit immer beliebter. Gemäss Bundesamt für Statistik ist sie in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz angestiegen. 

Mittlerweile geht mehr als ein Drittel aller Erwerbstätigen einer Teilzeitarbeit nach. Im letzten Jahr waren es 58 Prozent der Frauen und 19 Prozent der Männer. Teilzeit arbeiten entspricht einem modernen Bedürfnis nach einer besseren Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. Es bedeutet aber auch schlechtere soziale Absicherung und manchmal geringere Karrierechancen. Teilzeitarbeit sei durchaus ein Wohlstandsphänomen, sagt Patrick Kuonen, Professor an der Hochschule für Wirtschaft HESSO Valais-Wallis, gleichzeitig jedoch auch ein Garant für die Sicherung des Wohlstandes in der Schweiz.

Patrick Kuonen, in allen Branchen fehlt es an Arbeitskräften und gleichzeitig wird Teilzeitarbeit immer beliebter. Müssten wir aktuell nicht das Gegenteil tun und mehr arbeiten?
Um diese Frage zu beantworten, möchte ich ein wenig ausholen und darüber reden, woher der Wohlstand in der Schweiz kommt. 

Bitte.
Die Schweiz gehört weltweit zu den besten Wirtschaftsstandorten und ist eines der reichsten Länder der Welt. Der Reichtum der Schweiz stammt von der hohen Qualität der angebotenen Produkte und Dienstleistungen. Die Lonza ist ein gutes Beispiel dafür. Das Unternehmen hat sich nicht etwa in der Schweiz angesiedelt, weil die Löhne so tief wären, sondern weil es hier hoch qualifizierte Arbeitskräfte gibt. Daraus resultieren höchste Präzision und Qualität. Das macht uns konkurrenzfähig. Und um hoch qualifizierte Fachkräfte gewinnen und halten zu können, müssen attraktive Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die unter anderem Teilzeitarbeit umfassen können, wenn dies einen motivierenden Effekt auf die Mitarbeiter hat. Aus diesem Grund führt Teilzeitarbeit nicht dazu, dass sich der Fachkräftemangel verschärft, sondern im Gegenteil dazu, dass er sich entschärft, weil es einem aktuellen Bedürfnis der Arbeitnehmer entspricht. 

Täten Betriebe demzufolge gut daran, wann immer möglich Teilzeitstellen anzubieten?
Ja, und noch wichtiger ist, dass man Teilzeitarbeit dann auch vorlebt. Wenn Angestellte das Gefühl bekommen, sie reduzieren dadurch ihre Karriereaussichten, werden sie nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen. KMU müssen umdenken, um attraktiv zu bleiben. Nicht nur der Lohn ist ausschlaggebend für die Attraktivität eines Unternehmens. Arbeitgeber, die beispielsweise ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit geben, Arbeit und Familie in Einklang zu bringen, sind für viele Fachkräfte attraktiv. Hierzu gehören beispielsweise Teilzeitarbeit, die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, oder auch Unterstützungsangebote für Kinderbetreuung. 

Also hat Teilzeitarbeit langfristig keine negativen Auswirkungen auf unsere Wohlstandsgesellschaft?
Man könnte argumentieren, dass der Wohlstand eines Landes zurückgeht, wenn weniger gearbeitet wird. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Schweiz, wie erwähnt, qualitativ hochstehende Produkte und Dienstleistungen generiert. Wenn man hoch qualifizierte Fachkräfte hat, steigt auch die Produktivität, was in diesem Zusammenhang nichts anderes heisst, als dass wir in der Lage sind, in kürzerer Zeit mehr dieser Produkte und Dienstleistungen bereitzustellen. Oder ganz einfach gesagt: Wenn wir mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte haben, die motiviert sind, müssen wir in der Folge weniger arbeiten, weil wir in weniger Zeit denselben Wohlstand generieren und steigern können. 

Wieso ist Teilzeitarbeit im Moment eigentlich so gefragt?
Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen sind eine gute Work- Life-Balance und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtige Faktoren. Zum anderen hat sich das traditionelle Rollenverständnis verändert. Immer mehr Männer wollen sich stärker in der Familie engagieren. 

Sind die Rahmenbedingungen dafür vorhanden? 
Teilzeitarbeit und Rahmenbedingungen für Familien stehen in direktem Zusammenhang. Schweden bietet ein Beispiel für familienfreundliche Rahmenbedingungen, wo Eltern bis zu 480 Tage Elternurlaub nehmen können. Auch in der Schweiz sind gute Voraussetzungen für eine bessere Work-Life-Balance vorhanden. Unternehmen müssen jedoch ihre Familienfreundlichkeit verbessern, um leichter Fachkräfte zu finden und eine bessere Mitarbeiterbindung zu erreichen. Die Idee, dass man Überstunden schieben muss, um ein guter Arbeitnehmer zu sein, gehört der Vergangenheit an. Arbeitnehmer streben zunehmend nach einer ausgewogenen Work- Life-Balance und nach Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf. 

Wie würden Sie die neuen Generationen in der Arbeitswelt beschreiben?
Jeder Mensch hat unterschiedliche Ziele und bringt auch unterschiedliche Eigenschaften und Fähigkeiten mit sich. Als Dozent und Professor arbeite ich fast täglich mit jungen Menschen zusammen und kann sagen, dass sie zielstrebig sind, über Problemlösekompetenzen und die Fähigkeit zu kritischem Denken verfügen. 

Macht Teilzeitarbeit zufriedener als eine Vollzeitstelle?
Teilzeitarbeit kann sich, insbesondere in der reichen Schweiz, positiv auf das Wohlbefinden der Arbeitnehmer auswirken. Gemäss einer Studie der Universitäten Zürich und Bern aus dem Jahr 2022 berichteten die Interviewpartner von höherer Zufriedenheit bei ihren Mitarbeitenden und von weniger Stress, was sich positiv auf die Produktivität auswirkt. Aber natürlich hängt es von der jeweiligen Lebenssituation ab. 

Welche Folgen hat Teilzeitarbeit auf die Altersvorsorge?
Die Altersvorsorge ist in der Schweiz unbestritten eines der dringendsten Probleme. Teilzeitarbeit kann sich dahin gehend auf die Altersvorsorge auswirken, dass das Einkommen und somit auch die Rentenansprüche niedriger ausfallen können. Deshalb ist es wichtig, dass sich Arbeitnehmer über die finnanziellen Konsequenzen im Klaren sind und gegebenenfalls vorsorgen, um ausreichend abgesichert zu sein. Alt Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf meinte im letzten Jahr in der «Handelszeitung», man müsse mindestens 70 Prozent arbeiten, um im Alter eine einigermassen gutes Leben führen zu können. Das spricht also eher dafür, dass man Teilzeitarbeit in tieferen Prozentzahlen als kurzfristige Phase betrachtet.

«Es ist wichtig, dass Arbeitnehmer sich 
über die finanziellen Konsequenzen im Klaren sind.»


Welche anderen Phänomene gibt es derzeit auf dem Arbeitsmarkt?
Zu nennen ist hier sicher der Megatrend «New Work». Dabei geht es darum, dass Kreativität und Innovationen gefördert werden und neue Netzwerke entstehen. Traditionelle Hierarchien und Arbeitsweisen sollen aufgebrochen werden. Mitarbeiter bekommen die Möglichkeit, Arbeit, Arbeitsplatz und Arbeitszeiten flexibel zu gestalten. Die Arbeitnehmer können von überall aus arbeiten, sei es in Co-Working-Spaces, zu Hause, unterwegs oder auch im klassischen Büro. 

Heisst das, die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmen mehr und mehr?
Die Grenzen zwischen Arbeitsund Privatleben lassen sich nicht mehr mit früher vergleichen, was auch mit Teilzeitarbeit und flexibler Gestaltung von Arbeitsbedingungen einhergeht. Ein Beispiel dafür wäre, dass man auch während der Ferien von einem abgelegenen Ort aus arbeiten und am Nachmittag mit der Familie Freizeitaktivitäten unternehmen kann. Co-Working-Spaces bieten eine Möglichkeit, gemeinsam mit Mitarbeitenden verschiedener Unternehmen an Projekten zu arbeiten und kreative Prozesse zu fördern. Dies führt zu kreativen und innovativen Netzwerken. Auch die zunehmende Verwendung von Technologien wie künstlicher Intelligenz wird einen Einfluss auf die Art und Weise haben, wie wir arbeiten und wie wir Arbeit und Privatleben miteenander verbinden.


Interview: Manuela McGarrity

Artikel vom Walliser Bote vom 25. April 2023