Zurück zur vorherigen Seite
Jrobyr_a_team_of_academic_researchers_facing_a_wall_that_repres_91fee6b7-8c99-4a7d-940e-62193169e04f
Wednesday, 06. December 2023 - 10:10

DAS DOSSIER - „Zu Beginn kannten meine Kolleginnen und Kollegen nur noch dieses Thema. Wir haben uns dann darauf geeinigt, nur noch einmal am Tag darüber zu sprechen.“ Diese Anekdote von Silvan Zahno, Leiter des Smart Process Lab der HEI, spricht für sich. Als der ChatGPT-Hype Ende letzten Jahres ausbrach, sahen viele darin ein riesiges Potenzial für fast alle Bereiche – einschliesslich Lehre und Forschung.


Ab Anfang 2023 ging dann alles sehr schnell. Innerhalb von nur fünf Tagen verzeichnete die KI-Plattform eine Million Nutzende in der ganzen Welt, nach zwei Monaten waren es schon 100 Millionen. „Die KI hat das Potenzial, unsere Gesellschaft genauso zu verändern wie die Einführung des Internets zu Beginn der 2000er Jahre“, erklärt Mara Graziani, Dozentin am Institut Informatik. Gemäss ihr fühlen sich die Dozierenden ein wenig verloren und wissen nicht, wie sie reagieren sollen. 

ChatGPT ist ein sehr leistungsfähiges Hilfsmittel und hat daher die Neugierde vieler geweckt. Auch an der HES-SO Valais-Wallis wurde dieses Tool von zahlreichen Mitarbeitenden und Studierenden getestet. Es ist wenig überraschend, dass sie rasch mit den Grenzen von ChatGPT konfrontiert wurden: ungenaue oder sogar frei erfundene Informationen, Beeinflussung des Tools, fehlende Quellen und Referenzen, Verzerrungen aufgrund der Herkunft der Daten usw. Natürlich leidet das Tool noch unter Kinderkrankheiten, die aber dank zahlreicher Konkurrenten und anderer Hilfsmittel für die breite Öffentlichkeit, z. B. Generatoren für Bilder, visuelle Inhalte oder Videos, rasch überwunden werden können. Microsoft wird zudem in Kürze eine Office Suite mit integrierter künstlicher Intelligenz auf den Markt bringen.  

Solche technologischen Neuheiten führen aber auch zu Ängsten, geben Anlass zu Diskussionen, erfordern die Festlegung von Regeln und Grenzen sowie die Berücksichtigung der damit verbundenen Umwelt- und Energieaspekte. An der HES-SO Valais-Wallis löste ChatGPT ebenfalls Begeisterung, aber auch Skepsis aus. Denn die Auswirkungen des Einsatzes von KI im Unterricht und in der Forschung sind enorm.  

FORSCHUNG: Ein Vielzahl von Projekten

In der Forschung ist KI nicht neu. Silvan Zahno hält fest, dass zahlreiche Anwendungen auf künstlicher Intelligenz beruhen und Machine Learning sehr oft genutzt wird. Mehrere Institute unserer Hochschulen führen bereits zahlreiche KI-basierte Projekte in so unterschiedlichen Bereichen wie Medizin, Mobilität, Tourismus, Umwelt und Medien durch.   

Tetris für LKWs

Einige dieser Projekte sind sehr praxisorientiert. „Gemeinsam mit Constellium arbeiten wir gegenwärtig an einem Projekt zur Optimierung zum Beladen von LKWs. Hierfür müssen Kriterien wie Stabilität, Schwerpunkt, Achslasten, Art der Ladung und Lieferreihenfolge berücksichtigt werden. Es handelt sich hierbei um ein besonders komplexes Tetris, das mit Hilfe künstlicher Intelligenz schnell gelöst werden kann. Die Beladung ist optimal und die KI verbessert die Sicherheit der LKWs sowie die Effizienz der Beladung.“  

Dies wirft natürlich auch Fragen bezüglich der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und den Verlust von Arbeitsplätzen auf. Silvan Zahno zeigt sich diesbezüglich zuversichtlich. „Meiner Ansicht nach kann sich KI als hilfreich erweisen. Eine gut ausgebildete Person wird noch effizienter arbeiten können. Wissen und Know-how werden auch in Zukunft von Bedeutung sein.“  

Medtech

In der Medizin kann KI zweifelsohne ebenfalls eine grosse Hilfe sein. Das Projekt RADHED befasst sich etwa mit der Nutzung einer KI-basierten Plattform für die Analyse von medizinischen Bilddaten und für Schulungen in Radiologie und Onkologie. Das Ziel der HECKTOR-Challenge besteht darin, mit einem Open Science und Open Data-Ansatz Algorithmen zu vergleichen und – anhand von einem medizinischen Datensatz und der Anwendung vorgegebener Regeln – die leistungsfähigsten Algorithmen zu bestimmen.  

Algorithmen, die für bestimmte, in diesem Fall medizinische, Bereiche entwickelt werden, können oft auch für andere Forschungsprojekte genutzt werden. Dies zeigt unter anderem das Projekt Fishlab, das die Entwicklung und den Schutz der Fischfauna in für die Stromproduktion genutzten Gewässern zum Ziel hat. Die grossen Datenmengen (Big Data) ermöglichen eine präzise und nicht invasive Echtzeitüberwachung der Fische auf der Basis von Machine Learning-Algorithmen. Dieses Projekt beruht auf Tools, die vom Team um Henning Müller, Dozent FH und Leiter des Labors eHealth des Instituts Informatik, entwickelt wurden. 

Mobilität und Tourismus

An der HES-SO Valais-Wallis werden zudem mehrere Forschungsarbeiten in Zusammenhang mit Mensch-Maschine-Interaktionen durchgeführt, da KI oft auch das menschliche Verhalten berücksichtigen muss. Der Soziologe Jakub Mlynar vom Institut Informatik beteiligt sich unter anderem am Projekt „Robi at work“, das sich mit der Interaktion und der Arbeit eines automatischen Gepäcktransportfahrzeugs befasst, das in Saas-Fee getestet wird. Er erklärt: „Wir müssen die Benutzenden beobachten, um zu verstehen, warum und wie sie ihr Verhalten anpassen. Im Rahmen dieses Projekts muss die KI in der Lage sein, sich verändernde Verhaltensweisen zu berücksichtigen.“ 

Informationsqualität

Die Anwendungsbereiche sind vielfältig. Mara Graziani hat sich lange Zeit mit KI in der Wissenschaft (Medizin, Chemie) befasst und hat seit Kurzem einen weiteren Bereich für sich entdeckt: die Medien. Das grosse EU-Projekt AI4media, an dem sie sich beteiligt, will eine KI entwickeln, das in sämtlichen Medienbereichen (Journalismus, soziale Netzwerke, Unterhaltung, Kunst usw.) sichere und ethische Informationen gewährleistet. „In einem ausgewogenen demokratischen System sind Informationen von entscheidender Bedeutung und durch die Erkennung von Fake News kann der Polarisierung entgegengewirkt werden.“  


LEHRE: Vertrauen und Zuversicht

In der Lehre bietet der Einsatz der KI sowohl für die Dozierenden als auch für die Studierenden interessante Möglichkeiten. Gleichzeitig werden Bedenken laut. „Dieses Tool birgt Chancen und Risiken“, bestätigt Silvan Zahno. Für die Dozierenden sind insbesondere die Wissensprüfung und das Betrugsrisiko Grund zur Sorge. Für Mara Graziani ist dies jedoch nicht wirklich ein Problem: „Falls unsere Studierenden dieses Tool benutzen, bedeutet das in erster Linie, dass sie mit den neusten Entwicklungen Schritt halten und schlau sind. Sollten also die Dozierenden ChatGPT – und weitere KI-Tools – in ihren Unterricht integrieren? „Zukünftige Generationen werden KI nutzen wie wir den Taschenrechner“, ist Graziani überzeugt.  Silvan Zahno und Jakub Mlynar teilen ihre Sichtweise.

An der HES-SO Valais-Wallis wurden bereits erste Experimente mit KI durchgeführt, unter anderem an der HESTS und im Studiengang Wirtschaftsinformatik der HEG. Ein experimentelles Projekt untersucht das Potenzial von Chats und Avataren im Unterricht. „Das Hauptziel besteht darin, die Unterrichtsformen in einer Vorlesung mit Hilfe von ChatGPT und Synthesia zu diversifizieren. Konkret gehen wir auf die Frage ein, ob diese Avatare Dozierende vollständig oder teilweise ersetzen könnten“, erklärt Nicolas Debons, Leiter des Studiengangs Wirtschaftsinformatik.  

Die HES-SO hat ihrerseits bereits eine Task Force AI Education eingesetzt, um die Dozierenden bei der Anpassung ihrer Vorlesungen an ChatGPT und KI zu unterstützen. Diese Task Force will „die Dozierenden dazu ermutigen, das Thema KI in ihren Unterricht aufzunehmen, insbesondere wenn der zukünftige Berufsalltag unserer Absolvierenden davon beeinflusst wird“. Auf ihrer Website findet der Lehrkörper entsprechende Hilfsmittel. 

Eine interessante Sichtweise zu diesem Thema liefert auch das Interview von René Schumann.


Link: 

https://numerique.hes-so.ch/




3 Fragen an François Seppey


Wie steht die Direktion der HES-SO Valais-Wallis dem raschen Einzug der künstlichen Intelligenz in Lehre und Forschung gegenüber?

Die Weiterentwicklung der Unterrichts- und Lehrmethoden ist ein wichtiges Anliegen der HES-SO Valais-Wallis. Die Einführung der Team Academy ist ein gutes Beispiel hierfür. Es liegt in der Verantwortung aller Dozierenden, ihren Unterricht unter Einbezug sinnvoller Hilfsmittel innovativ zu gestalten.  

Gibt es etwas, das Sie den Dozierenden diesbezüglich sagen möchten?

Ja, und das gilt teilweise auch für die Studierenden: Zeigen Sie sich kritisch, machen Sie Ihre eigenen Erfahrungen und passen Sie den Unterricht entsprechend an. Es gibt zahlreiche Hilfsmittel zur Weiterentwicklung Ihres Unterrichts. Falls sich daraus bewährte Praktiken ergeben, tauschen Sie sich mit Kolleginnen und Kollegen aus. Die pädagogischen Berater und Beraterinnen vor Ort stehen Ihnen ebenfalls mit Rat und Tat zur Seite. 

Wird die KI in die Verwaltungsprozesse der Schule, z. B. jene der zentralen Dienste, integriert werden?

Gleich wie für die Lehre ziehen wir die Nutzung der KI auch für administrative Prozesse in Betracht. Es stellt sich dabei die Frage, wie diese Tools am besten genutzt werden können. Im Personal- und Finanzwesen gibt es eine Reihe repetitiver Aufgaben, die teilweise mittels KI ausgeführt werden könnten.