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Wednesday, 06. December 2023 - 10:00

DAS INTERVIEW - Dass künstliche Intelligenz einen grossen Einfluss auf die Hochschulbildung und -forschung haben wird, bezweifelt niemand mehr. Doch was bedeutet dies konkret? Welche Herausforderungen bringt dies für die Dozierenden und Forschenden mit sich? Wir haben darüber mit René Schumann, seit 2011 Dozent am Institut Informatik, diskutiert.  

 

Welche Fragen stellen Sie sich als Dozent über die Auswirkungen der KI auf Ihren Berufsalltag?

Das hängt von den Fächern ab, denn die Auswirkungen sind ganz unterschiedlich. Manche Aufgaben werden uninteressant, z. B. wenn man von Studierenden verlangt, Informationen auswendig zu lernen und sie bei einer Prüfung wiederzugeben. Gewisse Dozierende werden ihre Gewohnheiten ändern und ihren Unterricht anpassen müssen, das ist klar. Aber die Lehrkräfte sollten sich nicht blenden lassen von diesen Werkzeugen, die ihnen die Arbeit zu vereinfachen scheinen. Unterrichten wird nicht auf magische Art und Weise einfacher werden. Lernen ist ein Prozess, der in den Köpfen der Studierenden abläuft. Dieser biochemische Prozess ist im Laufe der Zeit relativ stabil geblieben und ist keinen Trends gefolgt. Deshalb wird er auch nicht von den jüngsten technologischen Entwicklungen beeinflusst werden.  

Die HES-SO Valais-Wallis muss die Dozierenden bei dieser didaktischen Entwicklung begleiten, denn die Studierenden werden diese neuen Hilfsmittel auf jeden Fall nutzen. Wenn dies auf verantwortungsvolle Weise geschieht, werden alle davon profitieren.

Mit welchen konkreten Problemen werden Sie konfrontiert werden? 

Sobald diese Werkzeuge verfügbar sind, werden die Studierenden sie nutzen wollen. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Studierenden den Stoff verstanden haben und in der Lage sind, sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Und wir sollten aufhören, von ihnen zu verlangen, Informationen auswendig zu lernen.

Welche Lösungsansätze bietet die HES-SO?

Sie schlägt den Dozierenden und Studierenden vor, diese Technologien zu integrieren. Das ist natürlich gut, aber reicht nicht aus. Meinen Studierenden bringe ich zum Beispiel zuerst die Grundlagen des Programmierens bei, bevor sie komplexere Probleme lösen können. Die KI ist sehr gut darin, einfache Probleme zu lösen. Wenn die Studierenden nun die KI für die Lösung grundlegender Probleme benutzen, werden sie diese Grundlagen nie selbst erwerben und somit auch nicht in der Lage sein, sich später mit komplexeren Problemen befassen zu können.  

Es bedarf sicherlich einer Kombination verschiedener Ansätze, denn es reicht nicht, wenn die Dozierenden den Studierenden erklären, weshalb sie KI nicht schon zu Beginn ihrer Ausbildung nutzen sollten. Es müssen offene Gespräche geführt werden.  

Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Herausforderungen und Chancen, die sich dank der KI auf dem Gebiet der anwendungsorientierten Forschung ergeben?

Die anwendungsorientierte Forschung an der HES-SO, in deren Rahmen KI verwendet wird, dient hauptsächlich der Entwicklung neuer Werkzeuge für Forschende aus anderen Disziplinen wie Medizin, Wirtschaft oder Biotechnologie. KI hilft uns bei der Analyse grosser Datenmengen, und zwar in allen Fachbereichen. Sie hilft bei der Erkennung möglicher Lösungen, wobei es sich oft nur um Korrelationen handelt und überprüft werden muss, ob es auch einen kausalen Zusammenhang gibt. Wir können nicht nur eine Box bauen, die dann an einen Partner verschickt werden kann. Wir müssen auch sicherstellen, dass die Box ausserhalb des Labors funktioniert, weshalb die zugrundeliegenden Kausalitäten verstanden werden müssen. 

Wir müssen also einen neuen Ansatz für die Forschung entwickeln: Wie können wir sie zuverlässiger machen, wenn sie durch KI unterstützt (oder ermöglicht) wird? Dies wird in Bereichen, die schon länger mit KI-Techniken arbeiten oder allgemein datenbasiert sind, bereits angestrebt. Aber in Bereichen, in denen der Einsatz von grossen Datenmengen neu ist, muss sich die Forschungskultur ändern. 

Welche ethischen Überlegungen müssen Forschende beim Einsatz von KI-Technologien im Rahmen ihrer Arbeit anstellen?

Es werden heute viel mehr Daten gesammelt als früher, weil wir sie zu nutzen wissen. Die meisten ethischen Überlegungen beziehen sich auf die Art und Weise, wie wir Daten sammeln, speichern und verarbeiten. Es ist also in erster Linie eine Frage des ethischen Umgangs mit Daten.

Eine weitere Frage stellt sich, wenn man beginnt, Entscheidungen mithilfe von KI-Inputs zu treffen. Nehmen wir an, ein Team der HES-SO Valais-Wallis entwickelt mit einer KI ein HR-Managementmodell, das später von einem Unternehmen genutzt wird. Wenn dann jemand von diesem Unternehmen entlassen wird, weil gemäss der Software Mitarbeiter X oder Y weniger produziert hat als die anderen, wer übernimmt dann die Verantwortung? Die ethischen Konsequenzen des Einsatzes von KI im Bereich der anwendungsorientierten Forschung werden schwer abzuschätzen sein. 

Denn jemand muss verantwortlich sein. Immer. Seit den 50er-Jahren und den öffentlichen Debatten um die Atomkraft können sich Forschende ihrer Verantwortung nicht mehr entziehen. Dies wird auch im Buch Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt und im neuen Film Oppenheimer von Christopher Nolan veranschaulicht. Die Frage der Verantwortung ist also nicht neu und wir können an bestehende Überlegungen anknüpfen. Wir können von der Vergangenheit lernen. 

Wie kann KI Ihrer Meinung nach die interdisziplinäre Zusammenarbeit und den Wissensaustausch zwischen Forschenden aus verschiedenen Bereichen fördern?

Sehr schnell werden sich viele Menschen als KI-Fachleute bezeichnen, nur weil sie diese im Alltag anwenden. Für mich ist dies gefährlich und an der HES-SO Valais-Wallis müssen wir dazu beitragen, dies zu vermeiden. In den letzten Jahren sind wir in der Schweizer Forschung zu einem wichtigen Akteur geworden. Wir müssen diese Position festigen und weiterhin Fachpersonen für die Erhebung, Nutzung und Speicherung von Daten zusammenbringen. Ein gutes Verständnis der Möglichkeiten der KI und der ethischen Folgen ihrer Nutzung kann nur durch eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit erreicht werden, und die HES-SO Valais-Wallis kann hier vorne mit dabei sein.