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Minorites
Monday, 28. November 2022 - 06:20

Wie gehen die Hochschulen und insbesondere die HES-SO Valais-Wallis mit Minderheiten auf dem Campus um? Wird kulturelle, sexuelle oder geschlechtliche Vielfalt unterstützt, toleriert oder ganz einfach ignoriert? Wir sind drei Studierende, die verschiedenen Minderheiten angehören und eine Umfrage durchgeführt haben.



„Die Demokratie ist nicht die Herrschaft der Mehrheit, sondern die Beschützerin der Minderheiten.“ 

Dieses Zitat von Albert Camus spricht für sich, denn obwohl sich die heutige Gesellschaft für die sexuelle, kulturelle und geschlechtliche Vielfalt sehr offen zeigt, fehlt es trotzdem oft an den notwendigen Massnahmen. Wie sieht es an der HES-SO Valais-Wallis aus?

Diskriminierung unter Studierenden

In einer 2019 veröffentlichen Umfrage zum Thema LGBTIQ gibt die Mehrheit der LGBTIQ+-Gemeinschaft an, an Hochschulen mindestens einmal Opfer von Diskriminierung geworden zu sein. Gemäss der von Dr. Eïla Eisner (Universität Lausanne) und Tabea Hässler (Universitäten Zürich und Washington) durchgeführten Studie werden sie oft nicht ernst genommen oder sogar verspottet.  Während sie im Kreis ihrer Familien, Freunden und Freundinnen auf Unterstützung zählen können, wird das akademische Umfeld als weniger förderlich wahrgenommen. Wie erklärt sich das?

Angehörige sexueller Minderheiten scheinen eher zu einem Coming-out bereit, während zwei Drittel der geschlechtlichen Minderheiten angeben, darauf verzichtet zu haben. Diese Minderheit schätzt im Allgemeinen auch ihr Wohlbefinden als geringer ein.  

Der Druck der Heteronormativität

Obwohl das Coming-out in der Regel als ein befreiendes Ereignis beschrieben wird, zwingt es die Mitglieder der LGBTIQ-Gemeinschaft trotzdem dazu, in der Öffentlichkeit über ihre Sexualität zu sprechen. Jede Person, die sich outet, geht das Risiko ein, sich abgelehnt zu fühlen oder sich selbst auszuschliessen, da sie nicht dem heteronormativen Weltbild entspricht. In der Broschüre Ouvrons l’placard ! der HES-SO Valais-Wallis wird dies klar erläutert. Sie beschreibt die Heteronormativität als ein Zuordnungsmuster, das sozial konstruiert wurde. Das männliche und das weibliche Geschlecht, die als gegensätzliche Geschlechter wahrgenommen werden, haben bestimmte, sich ergänzende Rollen und es wird davon ausgegangen, dass sie eine Partnerschaft eingehen. Abweichende Verhaltensmuster werden diskreditiert. 

Die Angst vor Ablehnung kann dazu führen, dass sich eine LGBTIQ-Person isoliert, anstatt sich zu outen und somit auch ihre Identität in Frage stellt. Hinzu kommt manchmal noch das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden oder dass homophobe Beleidigungen oder Angriffe banalisiert werden.   Die Folge davon ist, dass die Betroffenen nicht sich selbst sein können und sich nicht akzeptieren. Weitaus schwerwiegendere Folgen können ein selbstzerstörerisches Verhalten oder sogar Selbstmordgedanken sein. Angehörige sexueller Minderheiten sind zwei-bis fünfmal stärker selbstmordgefährdet als heterosexuelle Personen. Bei den geschlechtlichen Minderheiten ist das Risiko sogar zehnmal grösser. 

Zur Heteronormativität sagte ein Student der Hochschule Luzern im Rahmen eines Interviews Folgendes: „Ich habe kein Problem damit, über meinen Freund und unsere Beziehung zu sprechen, aber ich habe keine Lust an der Schule auf das Coming-out oder meine Sexualität an sich einzugehen.“ Auf die etwas widersprüchliche Antwort angesprochen fügte er hinzu: „Dies hebt meine Andersartigkeit hervor und ich habe das Gefühl, dass das nicht normal ist.“ Was ist aber normal? Dem heteronormativen Weltbild zu entsprechen? Zum weiblichen oder männlichen Geschlecht zu gehören? 

Mehr Unterstützung

Im Rahmen einer Umfrage unter Schweizer Studierenden gaben Angehörige von sexuellen oder geschlechtlichen Minderheiten an, dass sie sich im Lehrkörper unterrepräsentiert und an der HES-SO auch kaum unterstützt fühlen. Die Schaffung von LGBTIQ-Supportgruppen, geschlechtsneutrale Toiletten, Verwendung der inklusiven Sprache sowie ein diversifizierter Unterricht, der auch Minderheitsgruppen einschliesst, sind Verbesserungsvorschläge, die von den Studierenden immer wieder gemacht werden. 

Auch kulturelle Minderheiten fühlen sich an den Hochschulen ausgeschlossen und unterrepräsentiert. Obwohl die meisten von ihnen gut in die Klassen integriert sind, stellen einige gewisse Unterschiede fest. Eine junge Schweizer Tourismusstudentin mit ausländischen Wurzeln erklärt: „Seit ich an der Schule bin, habe ich mich instinktiv Studierenden angeschlossen, die ebenfalls einen anderen kulturellen Hintergrund haben, da ich mich unter ihnen wohler fühle. Ich knüpfte zwar auch Kontakte zu einigen anderen Personen, aber diese waren weniger eng.“ 

Sind wir wirklich alle verschieden? Beruht diese Unterschiedlichkeit nicht eher darauf, dass wir die anderen Kulturen zu wenig gut kennen? 

Auf die Schweiz fokussiert

Im Rahmen der Umfrage wurde immer wieder die fehlende Weltoffenheit angesprochen. Souheila, Tourismusstudentin im 2. Jahr, machte diesbezüglich folgenden Vorschlag: „Aufgrund meiner Erfahrung an einer Universität im Ausland würde ich es begrüssen, multikulturelle Events zu organisieren und daran alle Studierenden zu beteiligen, die sich dafür interessieren.“  

Dieses mangelnde Interesse an fremden Kulturen macht sich auch im Unterricht bemerkbar. Naomie, Tourismusstudentin, erklärt: „Wir sind an einer Hochschule für Tourismus, wo Weltoffenheit und das Interesse für andere Kulturen grundlegend sein sollten. Der Studienplan orientiert sich vielleicht zu stark an der Schweiz.“ 

Der Studienplan der Ausbildung in Tourismus misst dem Verständnis der Werte und Bräuche in anderen Ländern sowie den kulturellen Unterschieden in der Tat kaum Bedeutung bei. Dieses fehlende Interesse an anderen Kulturen kann ebenfalls dazu führen, dass sich ausländische Studierende etwas ausgeschlossen fühlen. 

Abschliessend möchten wir festhalten, dass dieser Artikel nicht als Kritik an der HES-SO oder anderen erwähnten Institutionen verstanden werden sollte. Sein Ziel besteht nur darin aufzuzeigen, dass sich Minderheiten immer noch zu wenig verstanden und ungenügend unterstützt fühlen, obwohl sich die Mentalitäten ändern. Es erwies sich als schwierig, Personen zu finden, die offen über diese Themen diskutieren wollten. Dies zeigt, dass insbesondere sexuelle und geschlechtliche Minderheiten immer noch davor zurückscheuen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Dies wurde uns auch von Paloma Neuhaus-González, Psychologin und Psychotherapeutin FSP, bestätigt. Gemäss ihrer Erfahrung sehen sich viele Angehörige von Minderheiten mit Beleidigungen und Ablehnung konfrontiert: „Die Mentalitäten ändern sich zwar, aber Belästigungen und Ablehnung sind noch nicht verschwunden. Hilfsstrukturen sind sehr wichtig und sollten bereits vor dem Eintritt in die Hochschulen ansetzen.“  


Célia Mengel, Joana Courlet, Thibaud Repond.